RAINER ||| Apropos BühnenBILD: Das Auge sendet „Bottom-up“-Signale an das Gehirn

Wenn es um das Essen geht, sagt man ja gerne „Das Auge isst mit …“, was gleichbedeutend sein soll für: es geht neben dem Geschmack und den Zutaten auch um die Ästhetik der Teller-Anrichtung. Aber das Sprichwort meint nicht nur dies, denn wie man aus der Hirnforschung weiß, hilft das Auge dem Geist auch beim „schmecken“. Das glauben Sie nicht? Das Schmecken gehörte bis weit in das 20. Jahrhundert zu den am wenigsten erforschten menschlichen Sinneswahrnehmungen. Doch in den letzten Jahren wuchs das Verständnis seiner biochemischen und neuronalen Vorgänge beträchtlich. So wusste man bereits, dass unser Sehzentrum dem Gehirn hilft, das Aussehen des Essens zu interpretieren und das beeinflusst tatsächlich mit, ob uns etwas schmeckt oder ob wir Lust bekommen, es zu kosten. In wissenschaftlichen Tests konnte beispielsweise der amerikanische Neurobiologe Robert F. MARGOLSKEE nachweisen, dass sich der „gefühlte“ menschliche Geschmackssinn auch ganz wesentlich an der Optik der Speisen und Getränke orientiert, während der eigentliche nur die vier Grundgeschmäcke „salzig“, „süß“, „sauer“ und „bitter“ kennt.

Als Beispiele möchte ich verschiedene Joghurts und Obstsäfte nennen, die Margolskees Team Versuchspersonen servierte, wobei es sich stets um ein und denselben Apfelsaft bzw. Naturjoghurt handelte, der mit geschmacksneutralen Lebensmittelfarben versetzt in jeweils drei Varianten angeboten wurde. Beim Saft war es a.) die traditionelle Apfelsaftfarbe, b.) eine Rotton-Färbung und c.) ein eher grünes Aussehen. Trotz identischen Geschmacks waren viele ProbantInnen bei diesen Tests der festen Meinung, ihnen wäre einmal Apfelsaft, einmal Kiwisaft und dann auch noch Johannisbeersaft serviert worden. Beim Naturjoghurt gab es das gleiche Ergebnis: mit roter Lebensmittelfarbe versehen „erschmeckten“ die Versuchspersonen – obwohl es sich um Naturjoghurt ohne Fremdgescmack handelte – eine leichte Erdbeernote, bei Orange waren es Mango oder Pfirsich und bei Grün ein leichter Geschmach von Kiwi oder grünen Apfel. Margolskee und sein Team interpretieren es so, dass allein unsere Lebenserfahrung mit Nahrungsmitteln zu diesen falschen Einschätzungen führt – man unterliegt also quasi einer optischen Täuschung, die mit plausiblen Geschmacks-Erinnerungen vermischt wird.

Nun gilt das Sprichwort „Das Auge isst mit …“ aber nicht nur für Nahrungsmittel sondern im Grunde für alles, was dem menschen geist optisch präsentiert wird. So verwundert es kaum, dass eine Pizza vielen Menschen umso besser mundet, wenn sie von einem italienisch anmutenden Menschen in traditionellem Pizzabäcker-Outfit hergestellt wurde, ein Asia-Haus oder China-Imbiss ohne asiatisch aussehendes Personal lässt manche von uns an der Qualifikation zur Zubereitung von Sushi, knuspriger Ente in frischer Ananas mit leichter Orangesauce oder Riesengarnelen im „Wenzhou“-Stil zweifeln. Und einen Krankenpfleger mit umgehängtem Stethoskop und zwei Kugelschreibern in der oberen Kitteltasche hält man in Kliniken oft für einem erfahrenen Mediziner. – Sie sehen also: auch hier führt das, was das Auge wahrnimmt, unwillkürlich zu geistigen Interpretationen. (Wer möchte kann zur Vertiefung auch bei Vera F. Birkenbihl nachlesen, wie der „SNIEPA SOMOH“ seine Welt wahrnimmt!)

In den mehr als vier Jahrzehnten, in denen ich auf Bühnen stand und stehe, hat sich bei mir das Bühnen-BILD als ein ganz entscheidender Faktor für die Gedanken und den Wohlfühlfaktor des Publikums entwickelt. Birkenbihl hatte solches nicht nötig, hielt sich vielleicht mal an einer Pinguin-Teekanne fest, brauchte nicht mehr als zwei Liesegang-Overhead-Projektoren, aber als ZukunftsCoach vor Publikum zu stehen oder als Dozent für GehirnManagement, wird für mich persönlich einfacher, wenn ich Untensilien auf der Bühne habe, mit denen ich und das Publikum arbeiten können. Der Klassiker ist hierbei natürlich das menschliche Gehirn in Originalgewicht, das ich machmal in die erste Reihe reiche, zum Anfassen und Anschauen.

Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass man FID / Feintuning im Denken nur dann bestens präsentieren kann, wenn die Optik stimmt. Ertsens, die auf dem Bühnentisch. So habe ich mir beispielsweise kleine bis mittelgroße Bühnen-Exponate von Fachleuten auf ihrem jeweiligen Gebiet herstellen lassen, wie Figuren von bert frerichs design aus Berlin-Köpenick oder präzise angefertgte Metall-Teile für die verschiedensten Zwecke von HL Perfektion-in-Edelstahl bei Nürnberg, um nur zwei der Firmen zu erwähnen. Zweitens habe ich mir über die Jahre Beamer ausgesucht, die immer bessere helle Bildqualitäten lieferten, als die bis dato von mir genutzten. Wie man weiß, habe ich trotzdem aus nostalgischen Gründen Overheadprojektoren beibehalten. Keine Frage: Das alles kostet Geld und man kann solches oft nicht ausleihen, aber das ist mir die Sache im Sinne meins Publikums wert, denn in unserem Denkapparat interagieren bekanntermaßen zwei Gehirnhälften bei der Informationsverarbeitung miteinander und diese Interaktion subliminal zu unterstützen ist mein Ziel.

Denn optische Reize und Informationen werden in jeweils unterschiedlichen Fließrichtungen verarbeitet, werden vom Gehirn wie beschrieben interpretiert. Der Neurowissenschaftler Pascal FRIES spricht von „Bottom-up“ und „Top-down“-Effekt. Auf das Visuelle bezogen meint „Bottom-up“ sozusagen „Augen auf – Info rein“ und die Information fließt dann in Millisekundenschnelle gewissermaßen nach oben in unsere Denkzentrale in verschiedene Gehirnareale. Doch wie wird sie als eine Top-Information gewichtet, die im Gehirn ein Umdenken zu bewirken imstande ist, sprich: als etwas, das wichtiger ist als andere Infos? Laut Fries hilft uns beim „Bottom-up“-Strom das „Top-down“-Prinzip. Heißt: Unser Gehirn benutzt bisherige Erfahrungen, um Ereignisse in den aktuellen Kontext einzuordnen und auf dieser Basis Vorhersagen zu treffen, die die neuen Infos beeinflusst und so unsere besondere Aufmerksamkeit wecken.

Nebenbei bemerkt: Die Erkenntnisse von Fries und seinem Team basieren auf Untersuchungen mit Rhesusmakaken und man benutzte dafür die Magnetenzephalographie. Hierbei wird mit Hilfe äußerer Sensoren die magnetische Aktivität des Gehirns aufgezeichnet, welche aus den elektrischen Strömen aktiver Nervenzellen resultiert und es konnte festgestellt werden, wie beim „Bottom-up“-Strom im Gehirn der Affen Informationen nach rhythmischen Aktivitätsschwingungen zuerst niederer Gehirngebiete weiter nach oben in die jeweils nächsthöheren Areale „wanderten“. Dabei entdeckten die Neurowissenschaftler auch, dass Frequenzbereiche für den „Top-down“-Reiz andere sind, wie für den des „Bottom-up“. Während beim „Bottom-up“ ein Gehrinstrom-Band im Gamma-Bereich um die 60 Hertz aktiv ist, wird beim „Top-down“-Strom ein Alpha-/Beta-Frequenzbereich zwischen 10 und 20 Hertz aktiv.

123

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert