In einem Januar habe ich mir bei einem Shopping-TV-Sender für 200 Euro einen Akku-Rasenmäher gekauft und gleich den mitangepriesenen zeit- und kraftsparenden Mulcheinsatz für 24 Euro mit. Beides kam an, wegen des Winters konnte ich den Rasenmäher erst im Frühjahr ausprobieren, was aber kein Problem war, denn das Gras in unserem Garten war nun bereits wieder einigermaßen hoch gewachsen. Voller Erwartung packte das Gerät aus und konnte alle Teile genauso einfach und unkompliziert zusammenbauen wie man es im Fernsehen versproche hatte – sogar die vorgeladenen Akkus zeigten auch nach Monaten im „Winterschlaf“ sofort die volle Leistung.
Ich war bestens gelaunt und nachdem ich den Motor gestartet hatte und mein neuer elektrischer Helfer ohne lästiges Kabel tatsächlich kraftvoll drauflosmähte, war ich begeistert. Das legte sich jedoch, als ich feststellen musste, dass sich im Grasauffangsack kein Gras befand und mein Rasenmäher das frisch-gemähte Grün fein säuberlich auf dem Rasen verteilt hatte. Ein Blick ins Gerät und danach in die Bedienungsanleitung brachte keinen Ausweg aus meiner Misere. Als ab ins Netz zum Life-Hacking. Doch selbst YouTuber hatten von meinem Ärgernis offensichtlich noch nichts gehört und konnten mir nicht weiterhelfen. Um es etwas abzukürzen: Die Lösung für das Problem gab es bereits und sie lag mir genau vor Augen, doch weshalb konnte ich sie nicht sehen?
Nochmals durchforstete ich das Internet und las im Angebot des Shopping-Senders die Angaben: „Akku-Rasenmäher, Gras-Auffangkorb aus Plastik und Nylon, Mulchkeil (er gehört nicht zum Lieferumfang) gesondert erhältlich, Ladegerät, 2 x Lithium-Ionen 18 Volt Akku.“ Wochen später rief mir meine Frau zu, dass der Akku-Rasenmäher wieder im TV-Angebot war und zwar zum Sonderpreis. Interessiert schauten wir uns nochmals die Vorführung an. Zusammenbau = einfach. Funktion = einwandfrei. Gemähtes Gras = im Auffangkorb. Ich schüttelte den Kopf und fragte mich: Warum nur, habe ich das Problem, dass der Rasen bei mir außerhalb des Auffangkorbs landete? Doch dann fiel der entscheidende Satz: „Auch dieses Mal zum Sonderpreis im Angebot mitenthalten: der Mulcheinsatz.“ – Jetzt wurde mir einiges klar.
Ich ging in den Garten zu meinem Rasenmäher, drehte ihn um und siehe da: ein Mulcheinsatz war bereits aufgesteckt, wohl um beim Versand die Extra-Verpackung dafür einzusparen. Und genau dieser Mulcheinsatz hatte bei mir von Anfang an immer wundervoll entsprechend seiner Funktion beim Rasenmähen mitgearbeitet, hatte zerkleinertes Gras frein auf dem Areal verteilt. Nochmal: Die richtige Erklärung für mein Problem gab es von Anfang an, doch weshalb konnte ich sie trotzdem nicht sehen / finden? – Weil ich von vorn herein gedanklich von anderen Voraussetzungen ausgegangen war.
Es ist doch klar, dass ich keine 24 Euro sinnlos ausgeben würde, wenn ich mitbekommen hätte, dass der Mulcheinsatz bereits kostenlos mitgeliefert wird. Also dachte ich niemals an die Möglichkeit, dass deshalb kein Gras im Auffangkorb ankam, weil es mein Gartengerät bereits zerkleinert und als Dünger auf den Rasen gestreut hatte. Meine Denkblockade bestand darin, dass ich extra (zudem für relativ viel Geld für so ein kleines Kunststoffteil) den Mulcheinsatz mit eingekauft hatte und er deshalb in meinem Denken kategorisch als Grund für die Misere von vornherein ausgeblendet wurde – lag der doch nach wie vor ebenso unschuldig wie orginalverpackt in einem verschlossenen Karton.
Das wir alle die Lösung von Problemen und Konflikten oder den Ansatz für schwierige Entscheidungen bereits kennen, sie aber für uns (noch) nicht erkennbar ist, das ist doch im Grunde beruhigend. Wenn man sich dann auch noch klarmacht, dass es oft im Denken „blinde Flecke“ gibt und trotzdem Hilfe ganz nah ist, etwa in Form eines Coaches, der uns durch eine Korrektur von Sichtweisen den Impuls gibt, die Lösung selbst zu finden, dann begreift man vielleicht, dass Coaching und Training eben doch nicht das Gleiche ist.
In diesem Sinne Ihr Rainer W. Sauer
Geschrieben von und © 2021 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining