Ganz am Anfang seines Lebens, in den ersten Tagen und Wochen nach seiner Geburt, ist der Mensch nur ein halber Mensch: Er kann nicht selbst Nahrung zu sich nehmen, kann kaum sehen, nicht reden und nicht laufen und hat trotzdem in seinem Gehirn, das Tag für Tag (im wahrsten Sinne des Wortes) wächst, bereits alle Fähigkeiten und Möglichkeiten um die Defizite wettzumachen.
Neugeborene verfügen nämlich über über verblüffende Fähigkeiten: Sie hören viel besser als Erwachsene, erkennen ihre Mutter an deren Gang und imitieren ihren Vater. Denn ein Baby ist die leistungsfähigste humane Lernmaschine der Welt. Seine kleinen Finger arbeiten mit weit höherer Präzision als jeder Roboter und der Pinzettengriff ist ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Feinmotorik, eröffnet dem kleinen Menschen ganz neue Möglichkeiten: er be-greift von nun an seine Welt. Die US-amerikanische Psychologin Alison Gopnik beschreibt dies sehr eindringlich in ihrem Buch „How Babies Think: The Science of Childhood“.
Die Ohren eines Babys sind schon nach wenigen Lebensmonaten in der Lage, Geräuschen im Raum einen Sinn zuzuordnen und das Gehirn baut unentwegt neue Verknüpfungen – jeden Tag sind dies Millionen. Denn unser Gehirn ist das komplexeste Organ des Menschen und die Schaltzentrale für unser Gedächtnis. Bis zu 100 Milliarden Nervenzellen kommunizieren dort miteinander. Durch stetiges Lernen setzt man vom Anfang seiner Existenz an immer neue Reize, das neuronale Netz verändert sich, es bilden sich neue Verbindungen unter den Nervenzellen, es wird dichter und größer. Der Ort, an dem diese Neubildung der Nervenzellen stattfindet, wird Hippocampus genannt – der Bereich im Gehirn, der für das Gedächtnis und Lernen zuständig ist, aber auch zur räumlichen Orientierung dient. Das menschliche Gehirm kann im Hippocampus bis ins hohe Alter hinein Nervenzellen erneuern, was dadurch bekannt ist, dass Menschen, aufgrund eines Schlaganfalls viele Dinge neu lernen müssen und dies auch schaffen.
Säuglinge kommen mit zahlreichen Reflexen auf die Welt, die ihnen das Überleben sichern sollen. Diese Reflexe verschwinden mit der Zeit, sobald der neugeborene Mensch gelernt hat, die Welt auf eigenen Beinen zu erkunden und mit seiner Umwelt kommunizieren kann. Dabei fragt das Kleinkind stetig, weil es das Bedürfnis hat, Dinge zu erfahren und zu lernen und dies macht ihm auch einen riesengroßen Spaß, sogar dann noch, wenn die Schulzeit beginnt. Da in den Bildungseinrichtungen Wissen aber vor allem durch Pauken vermittelt wird, Prüfungen das Erlernte abfragen und Noten einen bestimmten Stand von Wissen bewerten, geht dieser Spaß am Lernenvon da ab viel zu oft verloren. Eine Ausnahme gbt es: Wenn jemand beispielsweise anfängt, intensiv ein Instrument zu spielen, beispielsweise Geige, dann sind Veränderungen in Hirnbereichen erkennbar, die zuständig sind für die motorische Steuerung von Fingern. Bestimmte Verbindungen zwischen den Nervenzellen und Hirnarealen werden dabei aktiver, besonders diejenigen, die für das Geigespielen notwendig sind, weil man dabei sehr viel Feinmotorik, eine sehr genaue Kontrolle und ein exaktes Timing der Finger braucht – Prozesse die als Neuroplastizität bezeichnet werden. Festgestellt hat dies Bildungsforscher Nicolas Schuck aus Berlin.
Aber ist der Bereich, der die Feinmotorik steuert auch der Bereich unseres Gehirns, der für Kreativität zu ständig ist? Hierzu gibt die Wissenschaft ein ganz klares NEIN zu Protokoll. Es sind andere Bereiche und zwar gleich eine Vielzahl. So entsteht Kreatrivität in unterschiedlichen Bereichen des Kopfes. Vera F. Birkenbihl behandelte in ihren Büchern und Vortägen oft die zwei Hemisphären des Gehirns. Die rechte Gehirnhälfte steuere mehr die Gefühle, Intuitionen und Kreativität und wird durch Metaphern aktiviert, die beim „Gehirnbesitzer“ eigene passende Eindrücke, Symbole, Melodien oder Gerüche entstehen lassen – sprich: Sinneseindrücke, so VFB. Der österreichisch-US-amerikanische Psychiater, Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel spricht davon, dass die rechte Hirnhälfte meist auf Fantasie und Vorstellungskraft zurückgreife und sozusagen „das große Ganze“ im Blick habe.
Die linke Hälfte unseres Denkapparats ist lt. Kandel dagegen verantwortlich für Lesen, Rechnen, Sprache und Logik, aber auch für Regeln, die Konzentration, bestimmte Einzelheiten aus dem Erlebten, das Zeitempfinden – sprich: all das, was man im Allgemeinen als „das Denken“ bezeichnet. Insofern gibt es beim Denken und Nachdenken („Wie war das gleich noch? …“) eine Art Aufgabenteilung zwischen der linken und dem rechten Hemisphären des Gehirns. Links „wohnt“ der rationale Teil unseres Wesens, die „Schwarz-Weiß“-Abteilung unserer Existenz, rechts entsteht im bunten Teil des Gehirns Kreativität durch die Interaktion von Intuition, Gefühl, Spontanität, Neugier, Spielerein, Risiko und Raumempfinden. Aber rechts kann auch hin und wieder blockiert werden, beispielsweise durch Melancholie.
Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren, wie der Magnetresonanztomographie (MRT), können heutzutage die Fähigkeiten unseres Gehirns immer genauer erklärt werden. In Echtzeit ist somit sozusagen „ein Blick in unseren Denkapparat“ möglich, da Veränderungen von Hirnarealen untersucht und das das neuronale Netz seiner Dichte erfasst werden können. Denn diess neuronale Netz genauer zu „verstehen“, zu decodieren,, bleibt DIE Herausforderung für die Hirnforschung. Denken ist also stets eine Interaktion der einzelnen Teile unseres Gehirns im Kontext mit den Besonderheiten seiner zwei Hälften.
Hinweis: Wer sich diesem Thema sowohl wissenschaftlich als auch philosophisch nähern möchte, dem sei das Buch „Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?“ von Matthias Eckoldt emphohlen, der genau darüber Gespräche führte mit Angela D. Friederici, Gerald Hüther, Hans J. Markowitsch, Christoph von der Malsburg, Randolf Menzel, Frank Rösler, Gerhard Roth, Henning Scheich und Wolf Singer – den aktuell wichtigsten HirnforscherInnen Deutschlands. Aus meiner Sicht eine exklusive Einführung in die Hirnforschung aus erster Hand.