Die Schul-Sprachlern-Methode hat sich nicht etwa – wie man vielleicht meinen könnte – ein Pädagoge ausgedacht, sondern die Mönche im Mittelalter. Denn in dieser Zeit sandten die Ordensgemeinschaften vermehrt ihre Mitglieder aus, um die sogenannten Heiden in Asien, Afrika, Indien etc. zu missionieren (wobei deren eigene Kultur nicht selten rücksichtslos zerstört wurde). Diejenigen von ihnen, die lange genug überlebten, um vor Ort etwas von der jeweiligen Sprache zu lernen, wollten ihre Kenntnisse natürlich gern den Daheimgebliebenen mitteilen, damit die nachfolgende Generation von Missionaren sich besser auf ihre Aufgabe vorbereiten kann.
Da es jedoch zu dieser Zeit weder Tonaufnahmegeräte noch Videokameras gab, taten sie das einzige, was sie tun konnten: Sie erstellten Vokabellisten und formulierten Grammatikregeln. Und für ihre Zwecke war das auch kein Problem, denn die Mönche konnten sich mehr oder weniger den ganzen Tag (abgesehen von einigen Gebetspausen) dem Studium dieser einen Sprache widmen. Zudem waren sie hochmotiviert, denn gute Sprachkenntnisse erhöhten nicht nur die Chancen, überhaupt auf Reisen geschickt zu werden, sondern auch die Überlebenschancen, sobald man am Zielort angelangt war. Später hat man diese Methode dann einfach auf die Schule übertragen und bis heute beibehalten. Und das, obwohl die SchülerInnen von heute gezwungen werden, zur Schule zu gehen (Schulpflicht), deren Motivation also häufig nicht besonders hoch ist und sie darüber hinaus nicht nur ein Fach (die zu erlernende Sprache), sondern eine Vielzahl von Fächern zu bewältigen haben.
Allein wenn man diesen geschichtlichen Hintergrund kennt, sagt einem eigentlich schon der gesunde Menschenverstand, dass sich diese Methode längst überholt hat und nicht mehr funktionieren kann. Aber sehen wir uns das traditionelle Fremdsprachenlernen kurz an:
[Bitte beachten Sie, dass manche der sogenannten „modernen“ Methoden die gleichen Probleme mit sich bringen wie die klassische, z. B. wenn man den Lernenden sagt, sie sollten (dürften, könnten) von Anfang an (in der Zielsprache) sprechen. Deshalb stellen viele dieser Methoden (wie auch manche Sprachkurse auf dem Markt) die Lernenden vor die gleichen Schwierigkeiten wie das Schul-Lernen]. Doch nun zur klassischen Methode:
Schritt 1: VOKABELN PAUKEN* /// Problem: Von den Lernenden wird erwartet, dass sie beim Vokabel-Pauken völlig neue Wörter sofort aussprechen (oder zumindest murmeln) können. Dabei handelt es sich aber um neue Vokabeln (sonst müsste man sie ja nicht pauken), von denen sie noch nicht einmal den korrekten Klang kennen.
Typische Beispiele: Deutsche, die Englisch lernen, sprechen stumme Buchstaben aus, sie lernen [buchstabiert] „knaif“ anstelle von [ausgesprochen] „naif“ für »knife« (= Messer) oder [buchstabiert] „wrait“ statt [ausgesprochen] „rait“ für »write«“ (= schreiben). Wörter, die neue Laute (z. B. das „th“) enthalten, werden oft völlig verunstaltet. Einer meiner Seminarteilnehmer erzählte mir einst, wie er ursprünglich gelernt hatte, „altaff“ für »although« zu sagen! /// Gefahr: Die falsche Aussprache hat zwei Nachteile: 1.) Wenn Lernende das Wort zukünftig hören, können sie es nicht erkennen (weil die korrekte Aussprache unbekannt ist). 2.) Die Lernenden werden später (aufgrund ihrer falschen Aussprache) nicht verstanden.
[Bitte bedenken Sie, dass es sehr schwierig ist, im Nachhinein umzulernen, nachdem bestimmte Fehler sich einmal eingeschlichen haben. Darüber hinaus gibt es aber noch weit mehr Gründe, die gegen das Vokabel-Pauken sprechen.]
Schritt 2: DER VERSUCH, DIE LEKTION ZU VERSTEHEN /// Problem: Lernende erleben selbst dann Schwierigkeiten, wenn die Vokabeln gut gepaukt wurden. Wenn ich WORT-wörtlich übersetze (= dekodiere), wozu die meisten SchülerInnen intuitiv tendieren, dann versuche ich, den geheimen „Code“ der jeweiligen Lektion zu knacken, bin also geistig auf der Jagd nach Einsichten, und da ich meine Ergebnisse die ganze Zeit über NOTIEREN DARF, kann ich mich gemütlich (also ohne Stress) von Wort (Satzteil) zu Wort (Satzteil) bewegen.
Es ist ähnlich wie beim schriftlichen Multiplizieren: Da ich das Ergebnis zeilenweise aufschreiben darf, macht es nichts, wenn die zu multiplizierenden Zahlen etwas größer sind. Muss ich jedoch die ganze Operation im Kopf ausführen, dann ist das extrem schwer. Und genau das erleben wir, wenn wir mit gepaukten Vokabeln versuchen sollen, einen Text zu entschlüsseln, ohne dass wir ZWISCHENERGEBNISSE aufschreiben dürfen. Wieso merkt eigentlich niemand, dass dieser Lernstil das Lernen äußerst erfolgreich VERHINDERT, sodass nur einige wenige TROTZ dieser Methode klarkommen?
Komischerweise entstammen sie zu 99 % aus bildungsnahen Familien, sodass die sozial Benachteiligten auch intellektuell vom Schulsystem benachteiligt werden! Sind dann die Vokabeln noch dazu NICHT gut gelernt (… was in den meisten Klassenzimmern wohl eher die Regel sein dürfte, glaubt man den Lehrkräften …), dann werden die SchülerInnen sich hilflos, frustriert, ja sogar „dumm“ vorkommen und zwei Schlüsse ziehen: 1.) Fremdsprachenlernen ist sehr schwierig. 2.) Ich habe kein Talent dafür. /// Gefahr: Die so geschaffenen negativen Erwartungen, werden später „wahr“. Das Konzept der Sich-selbst-erfüllenden-Prophezeiung wurde in den 1950er Jahren von Prof. MERTENS an der Harvard-Universität belegt. Und diese „Beweise“ wiederum bekräftigen solche Annahmen – ein Teufelskreis.
Ich wiederhole: Solche Annahmen sitzen tief, deshalb ist es viel schwieriger, Menschen dazu zu bringen, mit der Birkenbihl-Methode anzufangen, als sie später bei der Stange zu halten, während normalerweise das Gegenteil zutrifft (die Leute fangen mit Enthusiasmus an, der jedoch schnell wieder verpufft). Denken Sie nur an die Fremdsprachenkurse an den Volkshochschulen. Sie haben am Anfang mehr TeilnehmerInnen als am Ende. Und das, obwohl die Teilnahme freiwillig ist und die Gebühr bereits entrichtet wurde. Warum wundert das niemanden? Warum nehmen wir das als „gottgegeben“ hin? Warum hinterfragen wir die Methoden nicht, wenn die Ergebnisse so kläglich sind?