RAINER ||| Was genau ein werdender Mensch im Bauch seiner Mutter erlebt

Von einem menschlichen Fötus spricht man, wenn das in der Gebärmutter wachsende Leben die ersten Stadien der Entwicklung hinter sich gebracht hat und die Ontogenese, also die Individualentwicklung, beginnt. Diese durchlebt der Fötus bis zu seiner Geburt. Die spannende Frage ist hierbei: Welche Wahrnehmung seiner Existenz hat der kleine, in Dunkelheit und weitgehender Stille heranwachsende Mensch?

Schwerelos schwebt er im Fruchtwasser, während sich sein Gehirn entwickelt und zugleich die Sensoren in seinem Körper ihre Funktion aufnehmen. Wissenschaftlich gesichert ist, dass der Neuling im Bauch schon nach wenigen Wochen im Mutterleib erste Sinneseindrücke wahrnehmen kann, allen voran Geschmacksempfindungen. Isst seine Mutter gerne bestimmte Dinge, so bleibt dies einem Fötus nicht verborgen. Zumindest kann sich ein neugeborenes Kind ganz offenbar an den Geschmack von Anis oder Knoblauch aus Fruchtwasser-Zeiten erinnern. Doch was ist mit dem Bewusstsein?

Ansätze hiervon entstehen beim Fötus um die 25. Schwangerschaftswoche herum, etwa zeitgleich mit der Entwicklung des Gehörs. In der Gebärmutter sind das Herzklopfen der Mutter und auch ihre Darmgeräusche allgegenwärtig. Als „Etwas“, was für das Ungeborene noch nicht genau bestimmbar ist, kann es dumpfe Fetzen von Sprache, Musik und Außengeräuschen wahrnehmen. Neurowissenschaftler gehen davon aus, das es in etwa so sein könnte, als wenn Kinder, Jugendliche oder Erwachsene gute Ohrenstöpsel tragen. Aber sogar Licht nimmt der Fötus wahr, wenn aucn nur als wechselnde Eindrücke von schwach-rot und Dunkel.

So richtig „voll da“ ist der heranwachsende Mensch ohnehin nicht, es mangelt ihm in der Gebärmutter an ausreichend Sauerstoff; Bergsteiger im Himalaya berichten von ähnlichen Bewusstseinszuständen. Hinzu kommt, dass er über seinie Nabelschnur unentwegt von der Mutter mit körpereigenen Beruhigungsmittel „versorgt“ wird, was dazu führt, dass es meist vor sich hindöst in einer Art beruhigendem Dämmerschlaf. Ob und was er dabei träumt, das bleibt immer noch ein Rätsel, wird aber von Forschenden als wahrscheinlich angenommen. Gesichert ist allerdingsnur: Wenn ein der Fötus endlich als Baby auf die Welt kommt oder per Kaiserschnitt in sie geholt wird, ist der neue Mensch vollgepumpt mit Stresshormonen. Diese erlauben es dem Neugeborenen, unmittelbar mit Kompetenzen zu glänzen, die es als Fötus im Mutterleib erlernt hatte, beispielsweise der Fähigkeit, Gesichter zu erkennen und diese auch schnell zu unterscheiden.


BuchTipp: Lennart Nilsson enthüllte 1965 mit seinem Fotobildband „Ein Kind entsteht“ eines der größten Geheimnisse des menschlichen Daseins: Das entstehende Leben vor der Geburt. Seine im Mutterleib aufgenommenen Fotos gingen um die Welt. Vier Jahrzehnte später wurde das Buch komplett überarbeitet und enthät jetzt neue atemberaubende Bilder, die mit modernsten Techniken fotografiert wurden.