Vor etwa drei Jahrzehnten startete ich meine Fortbildungsveranstaltungen als Dozent und Verwaltungstrainer für den Gemeinde- und Städtebund und das VHW und nutzte die Olympischen Winterspiele in Lillehammer für eine kleine Lehr- und Lerneinheit, die ich den „Niemann/ Wasmeier/Vogts-Effekt“ nannte. Und um das geht es (… der Ur-Text stammt übrigens aus dem Jahre 1995 …):
1994 galt die Erfurterin Gunda Niemann als große Favoritin auf drei olympische Goldmedallien im Eisschnellauf. Doch in ihrem ersten Rennen rutschte sie aus und stürzte. Fassungslos habe sie registrieren müssen, sagte sie später, dass andere Sportlerinnen die drei Medaillen umgehängt bekamen. Besonders bitter für sie: sämtlich mit Siegerzeiten, die Gunda Niemann im Training locker unterboten hatte. In ihrem nächsten Rennen wollte sie es allen zeigen, fuhr aber mit angezogener Handbremse und gewann ’nur‘ die Bronzemedaille; wieder mit einer Zeit, die viel langsamer war als ihre Bestzeit. Man merkte ihr bei diesem Rennen an, dass bei ihr die Angst mitfuhr, erneut zu stürzen und alles zu verlieren.
Im dritten Rennen war „Gold-Gunda“, wie die BILD-Zeitung sie getauft hatte, dann wieder zuversichtlich. Einerseits waren ihre Trainingszeiten hervorragend, andererseits war sie auf dieser Strecke schon über mehrere Jahre ungeschlagen und ihre Konkurrenz fuhr meist fünf bis zehn Sekunden hinterher. Doch kurz bevor Gunda Niemann starten durfte lief eine Mannschaftskammeradin pesönliche Bestzeit und kam bis auf eine Sekunde an den Weltrekord von Gunda Niemann heran. Die Erfurterin versuchte ihr Bestes und konnte doch ’nur‘ den zweiten Platz belegen. Enttäuscht erklärte „Gold-Gunda“: „Das waren meine letzten olympischen Spiele.“
Bei Markus Wasmeier war in Lillehammer ’94 alles anders. Er, der „Trainingsweltmeister“ im deutschen Ski-Team (eine despektierlicher Ausdruck für einen Sportler, der später im Wettkampf nie ganz vorne landet), wurde in seinem ersten olympischen Rennen nur 30. und zog sich den Spott der Experten zu. Vor seinem zweiten Rennen sagte Wasmeier, er habe nun nichts mehr zu verlieren, könne befreit fahren – und wieder schmunzelte man über den Bayern. Nach dem Rennen war klar: Markus Wasmeier hatte sensationell Gold gewonnen. Noch unglaublicher war, dass der Skifahrer, der in sein drittes Rennen nun völlig ohne Erfolgsdruck an den Start gehen könnte, dabei seine zweite Goldmedaille erringen konnte.
Hans-Hubert „Berti“ Vogts war sicher kein Meister der Rhetorik, aber er konnte Fehler zugeben. Nach dem enttäuschenden Abschneiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM ’94 und dem noch enttäuschenderen Statement der DFB-Oberen („Unter den besten acht Mannschaften zu sein ist doch auch ein Erfolg!“) gab Vogts unverblümt eigene Fehler zu und vermied damit das sonst vorherrschende Geplapper von Kollegen à la „Ich bereue nichts und würde alles noch einmal genauso machen.“ – Dazu muss man wissen: Fehler zuzugeben ist für einen Menschen nicht einfach. Oft müssen Ausreden herhalten und/oder es wird die Schuld bei anderen Personen (…)