Wir alle kennen den alten Trick: Schreiben lernt man nur durch Schreiben. Analog gilt natürlich auch: Reden lernt man nur durch Reden! Warum benehmen wir uns dann oft so, als könne man am Schreibtisch sitzend mit Papier und Stift (oder Computer) eine hervorragende Rede vorbereiten? Wir wissen, dass es nicht geht.
Wenn Sie ein(ig)e Roh-Version(en) durchlaufen haben, dann ergibt sich zwangsläufig die Sicherheit, die Sie brauchen, wenn Sie diese zum ersten Mal öffentlich vortragen wollen.
In meinem Klassiker „Stroh im Kopf?“ zeige ich (ab der 36. Auflage), dass die Technik identisch ist, wenn wir uns auf eine Prüfung vorbereiten. Genaugenommen betrachte ich jeden „Jungfern-Vortrag” als Prüfung! Nur mit einem Unterschied: Diese Leute haben oft bezahlt (oder wenn einer meiner Kunden seine Kunden einlädt, dann hat er die finanzielle Verpflichtung übernommen), d.h. meine Vorbereitung zeigt allen, wie ernst ich meine eigene Leistung nehme und wieviel diese Menschen mir bedeuten. Und das spüren die Menschen! Ist das ein Vortrag von der Stange oder ist die Zusammenstellung, die Reihenfolge, die Abfolge der keinen Experimente speziell auf diese Zielgruppe zugeschnitten? Hat sich dieser Redner Mühe gegeben, uns etwas zu bieten? Hat die Rednerin sich auf uns vorbereitet oder zieht sie nur vorgefertigtes aus der Schublade und „spult es nun ab“?
Sehen Sie, das sind die beiden Gefahren: Zwischen UNVORBEREITET (keine Steine im Fluß) und heruntergespultem „Zeug“ – irgendwo dazwischen werden wir uns finden, und das bestimmt, wie unsere Hörer unser heutiges Thema „finden“…
Noch einige Tipps
– Schneiden Sie Ihre eigenen Veranstaltungen ab und zu mit! Der Ton reicht vollkommen. Bei großen Veranstaltungen muss das heute niemand mehr erläutern, sogar die TeilnehmerInnen schneiden hemmungslos mit, ohne auf die Idee zu kommen, zu fragen, ob sie dürfen. Aber bei kleinen („intimen“) Seminar-Gruppen ist es immer noch sinnvoll, kurz zu begründen,was Sie tun: Erklären Sie den Teilnehmern, dass Sie an sich arbeiten wollen und daß Sie diese Aufzeichnung später studieren wollen. Ich habe früher bei Kleingruppen immer darauf geachtet, daß ich bei Übungen abschalte, aber heutzutage, nach „Big Brother” und tausenden von Nachmittags-TV-Shows ist das kein Thema mehr. Viel wichtiger ist, daß heute einige Teilnehmer kommen werden und Sie um eine Kopie bitten. sorgen Sie also rechtzeitig dafür, daß Sie dies schnell bewerkstelligen könen (6 Wochen später ist nicht optimal). Betonen Sie, daß Sie auf diese Weise eigene Schwachstellen finden können, weil Sie Ihren Vortrag im Nachhinein hören werden. Erfahrungsgemäß finden die Teilnehmer es toll, daß auch ein/e Trainer/in noch an sich arbeitet. (Ein) besseres Signal können Sie gar nicht setzen.
– Wenn Sie solche Mitschnitte haben, und die z.B. auf Reisen, im Auto immer wieder hören (mindestens drei- bis viermal pro Kassette), dann gewinnen Sie dreifach: Wenn Sie beim drittenmal zusammenzucken, weil Sie sich bei einer „dummen Bemerkung“, einer Wissenslücke (dem 150. „phänomenal“ zwischen Mittags- und Kaffeepause) oder was immer ertappen, dann wird Ihnen sehr klar, woran Sie tatsächlich arbeiten wollen.
– Sie werden auch „good points“ begegnen, Momenten, in denen Ihnen beim Sprechen eine neue Metapher eingefallen ist, Sie eine neue Frage spontan gut beantwortet haben etc. Auf diese Weise können Sie die Dinge „retten“, die man in einer guten Veranstaltung selbst hinzulernen könnte, wenn man sie nachher bewußt registrieren könnte. Ich wußte in den ersten Jahren anschließend oft, daß ich irgendeine tolle Antwort gegeben hatte, konnte sie aber oft genauso wenig re-konstruieren, wie einen Traum, vielleicht, weil unmittelbar eine weitere Zusatzfrage gekomen war und ich keine Zeit hatte, meine Eindrücke bewußt zu registrieren.
– Sie sammeln emotionale Reaktionen. Zum Beispiel stellen Sie beim Abhören fest, daß Sie an bestimmten Stellen Gelächter, Applaus oder andere Anzeichen von Betroffenheit „geerntet“ hatten. Testen Sie in Vorträgen der nächsten Tage und Wochen, ob Sie beim nächsten Mal eine ähnliche Reaktion auslösen. So sammeln Sie einige Rede-Elemente mit vorhersagbaren emotionalen Reaktionen!Auf diese Weise entwickeln Sie im Laufe der Zeit nicht nur intellektuelle (sachliche) sondern ganz unterschiedliche Steine im Fluß: „Funny stones“ z.B. Diese können Sie später jederzeit gezielt „anspringen“, wenn Sie gerade einmal
einen eher leichteren Touch benötigen.
Spätestens seit meinen beiden Video-Vorträgen zu „Humor…“ und „Lachen…“ sowie meinem Buch „Humor – an Ihrem Lachen soll man Sie erkennen“ habe ich mich ja als eine Person „ge-OUT-et“, die der Meinung ist, dass man Humor „allen Ernstes“ einplanen und im Vortrag/Seminar zur Geltung bringen sollte. Dies ist ein integraler Teil des gehirn-gerechten Vorgehens – immer gewesen. Leider wurde ich bis vor einigen Jahren dafür oft „geprügelt“ (… wo kämen wir denn hin, wenn im Seminar gelacht würde …), wobei die Angriffe nie von Teilnehmern kamen, nur von Wettbewerbern und von der Presse. Inzwischen nennt man es Infotainment und jetzt ist es „in“, da Heiterkeit, Lächeln und Lachen dermaßen günstige neuro-physiologische Auswirkungen auf Körper und Geist haben. Aber das ist eine andere Geschichte …
Vera F. Birkenbihl, Odelzhausen