Lesen Sie HIER Teil 1 des Artikels!
Der erste Schritt in der Birkenbihl-Methode zum Sprachenlernen ist das Dekodieren. Dieser Schritt bedeutet, dass man die Fremdsprache versteht, ohne zunächst Vokabeln auswendig zu lernen oder ihre Bedeutungen im Voraus zu kennen. Um mit dem Dekodieren zu beginnen, wählt man sich einen kurzen und einfachen Text in der Fremdsprache aus. Dann übersetzt man diesen Text selbständig und zwar interlinear als Wort-für-Wort-Übersetzung. Interlinear übersetzen bedeutet, dass zwischen jeder Zeile des Originaltextes eine Leerzeile eingefügt wird, in die man seine eigene Übersetzung schreibt. So entsteht eine Art „Zwischenübersetzung“, die dabei helfen soll, die Struktur und die Bedeutung der Fremdsprache direkt im Kontext zu erschließen, ohne sich auf isolierte Vokabeln zu stützen.
Dieses Verfahren fördert nach Birkenbihl das Verständnis der Sprache als Ganzes, anstatt sich lediglich auf einzelne Wörter zu konzentrieren. Der Lernende beginnt, die Grammatik und den Satzbau mental „zu begreifen“, ohne dies vorher explizit erlernt zu haben – das Gehirn wird so angeregt, automatisch Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Die Technik des Dekodierens ist jedoch keine Ersterfindung von Vera F. Birkenbihl sindern baut auf früheren Lernmethoden auf, wie etwa der sog. „Methode Mertner“ von Robert Mertner aus dem Beginn der 1920er Jahre – im Archiv der Birkenbihl Sammlung befinden sich einige Hefte aus dieser Zeit, die VFB einst inspiriert hatten. Obwohl ihre Methode also keine vollständige Neuerfindung von Vera F. Birkenbihl darstellt, so hat sie jedoch einen seit Jahrzehnten quasi vergessenen Lernweg einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für das Dekodieren seien sämtliche Hilfsmittel erlaubt und in vielen Fällen sogar notwendig, so Birkenbihl. Eine exakte Beachtung grammatikalischer Regeln oder Satzbauvorgaben sei in diesem ersten Schritt ihrer Methode jedoch nicht erforderlich. Im Gegenteil: Der Fokus sollte zunächst auf dem Verstehen des Textes im Zusammenhang liegen und eine zu strenge Regelbefolgung könnte eher hinderlich sein. Sollte man einen Muttersprachler kennen, der einem bei der Lösung der Übersetzungen zur Seite stehen kann, sei dies ein hilfreicher Vorteil; solche Kooperationsmöglichkeiten sind leut VFB sogar erwünscht.
Auf den ersten Blick mag die Technik des interlinearen Übersetzens tatsächlich eher humorvoll als effizient oder sogar erheiternd wirken. Und ja, viele Menschen haben sicherlich über einige ihrer ersten Übersetzungen schmunzeln müssen. Doch genau das steht laut Vera F. Birkenbihl keineswegs im Widerspruch zum Lernerfolg – im Gegenteil: in gleich mehreren Büchern hatte die Autorin sich über die positive Rolle von Humor und Lachen beim Lernen ausgelassen. Und wer sich nun fragt, was der tiefere Sinn der Birkenbihl-Methode ist, dem sei gesagt, dass man sich mit ihr schnell einen Wortschatz aufbauen kann – und das auf eine spielerische Weise, denn es wird die Bedeutung von Wörtern im Kontext erlernt, und dies ohne sie isoliert auswendig „pauken“ zu müssen, was das Erlernen nachhaltiger und effektiver macht.
Ein entscheidender Aspekt dieses Prozesses ist es auch, das Übersetzte bildlich zu visualisieren. Das bedeutet, man sollte sich den Satz oder den gesamten Absatz bildlich vorstellen sollte. Bilder – auch die eigenen, inneren Vorstellungen – sind ein äußerst effektives Mittel, um neue Informationen langfristig im Gedächtnis zu verankern. Studien zeigen, dass visuelle Vorstellungen dabei helfen, das Gelernte besser und schneller und vor allem langfristig zu speichern. Natürlich kann man individuell den Lernprozess durch andere Methoden und Lenwege weiter vertiefen und festigen, u. a. durch Vokabeltrainer-Apps, aber durch Birkenbihls Methode des Dekodierens gelingt auf jeden Fall ein Erstkontakt inklusive einem Gurndverständnis der fremden Sprache. Sie stellt also vor allem eine wertvolle Unterstützung in den frühen Phasen des Sprachenlernens dar, sprich: eine solide Basis für das Verständnis sowie einige kulturelle Besonderheiten der Zielsprache.
Keine Sorge – mit etwas Übung werden die verschiedenen Schritte zunehmend leichter von der Hand gehen. Irgendwann kann man feststellen, dass sich vor seinem inneren Auge beim Lesen oder Hören der Zielsprache ein richtiger Kinofilm abspielt, der die Sprache lebendig werden lässt. Und keine Sorge: Hunderttausede Sprach-Lernende nach Birkenbihl haben über lei letzten fünf Jahrzehnte eine Fremdsprache und viele ihrer Vokabeln tief im Gedächtnis verankert werden. Gleichzeitig wurde ihnen durch Zuhören oder Gespräche mit Dritten auch der Klang und der Sprachrhythmus der Fremdsprache immer vertrauter und natürlicher, sodass sie die Sprache zunehmend intuitiver verstanden haben.