Vor mehr als zwei Jahrzehnten traf ich für einen Radiobericht das Zwillingsbrüderpaar Benjamin und Dominik Reding, Film-/Theaterregisseure, Drehbuchautoren, Filmproduzenten, zum Interview und wir unterhielten uns über künstlerische Projekte, Erfahrungen, Strategien. Im Zusammenhang mit den, was man beim Casting vom Schauspielen und Schauspielerinnen von den jeweiligen Akteuren erwartet oder erwarten kann, legte mir Dominik Reding etwas ans Herz, was mich seitdem im Leben bei vielen Dingen als persönliches Handlungskonzept und Haltung zugleich begleitet: „Expect the Unexpected“ / „Erwarte das Unerwartete“ und sei dafür offen!
Reding erklärte zuerst, wie sich der Titel des damals aktuellen Reding-Kinofilms weg von „Fettes Gras“ hin zum Kunstnamen „Oi!Warning“ entwickelte – zusammengesetzt aus dem in der sog. „Oi!“-Szene gebräuchlichen Ruf und dem englischen Wort für „Warnung“. Reding philosophierte darüber, dass eine Sache für den Menschen oft erst dann an Interesse gewinnt, wenn man ihn davor warnt. „Nimm‘ fünf Türen und auf einer einzigen steht ‚Bitte nicht öffnen!‘. Und es wird genau diese Tür am häufigsten aufgemacht werden“, wusste er.
Auch in der Gesellschaft, der Wirtschaft und sogar der Verwaltung gibt es Ereignisse, die als völlig absurd oder unwahrscheinlich angesehen werden, Entwicklungen, die unerwartet und / oder überraschend eintreten und daher als erstaunlich bis dramatisch angesehen werden. Blickt man jedoch tiefer, stellt sich in durchaus nicht wenigen Fällen heraus, dass es Anhaltspunkte gab, die auf das Unerwartete hindeuteten und gelegentlich wurde die Entwicklung bzw. das Ereignis auch von Experten vorausgesehen, denen man nicht geglaubt hatte, sie vielleicht nicht verstanden oder ernstgenommen hatte. Hierfür gibt es den Begriff des schwarzen Schwans. Diesem Phänomen hat sich u.a. der libanesischen Statistik-Forscher Nassim Nicholas Taleb („Fooled By Randomness“ / deutsch: „Die unterschätzte Rolle des Zufalls in unserem Leben“) in seinem Buch „The Black Swan“ angenommen. Taleb geht darin sogar soweit, dass nicht nur Einzelfälle sondern auch wichtige Einsichten, Erfindungen, künstlerische Werke und historische Ereignisse als „Schwarze Schwäne“ bezeichnet werden könnten, darunter die Feststellung der antibiotischen Wirksamkeit des Penizillin-Pilzes oder die Entdeckung Amerikas.
An das Unerwartete zu denken, hat rein gar nichts mit einer negativen Erwartungshaltung zu tun. Ganz wie Kinder, die von vornherein unschuldig an das Leben herangehen, ist „Expect the Unexpected“ eine Lebenseinstellung, die aufregend faszinierend zu verstehen ist. Jeder Forscher, Tierfilmer, Physiker erwartet geradezu sehnsüchtig das Unerwartete, denn die tägliche Routine, das Vorhersehbare ist öde, doch „dieser eine Moment“ der alles verändert, ist das, auf was es sich zu warten lohnt, auf das hingearbeitet wird. Eine funktionierende Glühlampe, deren Faden nach drei Sekunden schon wieder verbrannt ist, ist nicht das Ziel. Es ist der Weg. Der Weg hin zu dem, was die menschliche Gesellschaft mit Helligkeit durch das 20. Jahrhundert begleitet hat.
In diesem Sinne Ihr Rainer W. Sauer
Geschrieben von und © 2019 für Rainer W. Sauer / CBQ Verwaltungstraining