Auszug aus meinem gleichnamigen Impulsvortrag aus dem Jahre 2023:
»(…) Bis zu ihrem Tode hat Vera F. Birkenbihl die Fort- und Weiterbildungsbranche iin den deutschsprachigen Ländern maßgeblich beeinflusst und dies nicht nur durch ihre außergewöhnliche Persönlichkeit und ihre gut besuchten Vorträge. Vielmehr hat sie bedeutende Lernprinzipien formuliert sowie innovative Techniken entwickelt, die sowohl in der Praxis von Trainern Anwendung finden als auch weiterhin relevant sind. Und sie hat sie, was wohl ihr bedeutendster Verdienst war, „unter die Leute“ gebracht.
Dies tat VFB seit Ende der 1960er Jahre vor allem auf Basis von Erkenntnisses der Hirnforschung, die gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen haben. In den 1950er Jahren kamen Methoden auf, die es ermöglichten, am lebenden, gesunden Gehirn Untersuchungen anzustellen, ohne dazu einen Eingriff vornehmen zu müssen. Diese innovativen boten den Schlüssel zu vielen der heute als selbstverständlich betrachteten Erkenntnisse über unser zentrales Denkorgan; so galt beispielsweise die Elektroenzephalografie (EEG) als eine Schlüsselmethode, die es erlaubt, Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche aufzuzeichnen, welche Rückschlüsse auf die elektrische Aktivität des Geistes erlaubten. Dies fand in den 1960ern zunehmend Resonanz auch bei Fachleuten im Bereich der Weiterbildung, u. a. auch bei Birkenbihls Vater Michael („Train the Trainer“) und ihr selbst. Und in der Tat ist das Verständnis darüber, wie das menschliche Gehirn Informationen bewertet, verarbeitet und speichert, für alle, die Wissen gehirn-genial vermitteln möchten, bis heute von erheblichem Interesse.
Viele der aktuellen Ergebnisse aus der Neurowissenschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts sind deshalb nicht neu. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre hatte Vera Felicitas Birkenbihl durch intuitive Denkansätze und logische Schlussfolgerungen aus Fachliteratur und Forschungen Einsichten über die Funktionsweise des menschlichen Lernens gewonnen und diese in ihren Büchern verarbeitet. Die Bildungsexpertin vertrat die Überzeugung, dass unser Gehirn bereits „von Natur aus“ geeignet sei, das Lernen zu unterstützen. Doch unser Geist lerne zwar stets und ein Leben lang, jedoch nicht zwangsläufig das, was Lehrer oder Vorgesetzte vermitteln möchten. Birkenbihl suchte daher nach universellen Prinzipien, die das Lernverhalten des Gehirns steuern, und fand Wege, wie diese Prozesse gezielt unterstützt werden können. Auf dieser Grundlage entwickelte sie ihr Konzept eines gehirn-gerechten Lernens, das bis heute untrennbar mit ihrem Namen verbunden ist.
Unter anderem an ihrem Wissen orientierend, basiert auch mein Ansatz der Wissensvermittlung auf den natürlichen Bedürfnissen des Gehirns, den sog. Neuromechanismen. Diese Mechanismen fördern nicht nur die Verarbeitung neuen Wissens, sondern motivieren unseren Geist auch dazu, sich intensiver mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen, da sie der natürlichen Arbeitsweise des Gehirns unterstützen und gehirn-genial sind. Dabei hilft z. B. Assoziatives Denken. Die natürliche Denkweise unseres zentralen Denkorgans ist assoziativ. Neue Informationen werden mit bestehenden Inhalten abgeglichen, die in vernetzten Strukturen organisiert sind, anstatt linear-logisch, wie es in der traditionellen Lehre oft vermittelt wird. Durch diese Assoziationen erschließen wir Netzwerkstrukturen, die uns Zugang zu unserem passiven und unbewussten Wissen ermöglichen.
Auch die Sinn- und Bedeutungsfindung sind essentiell für ein Lernen, das unserem Geist Freude bereitet – sprich: Das Hinterfragen z. B. von „Wer, wie, was?“ Denn bei der Abarbeitung von Aufgaben arbeitet unser zentrales Denkorgan nicht nur Abläufe quasi automatisch körperlich ab, sondern widmet sich gleichzeitig auch Fragen nach dem Sinn und interpretiert die verfügbaren Informationen, stellt Zusammenhänge her, schließt Lücken und vergleicht. Wird kein erkennbarer Sinn gefunden, führt dies zu Frustration und stoppt den Lernprozess. Umgekehrt fördert Spaß am Lernen die Speicherung wichtiger Informationen, die dann einfacher an vorhandenes Wissen „andocken“ können.
Neben diesen beiden Komponenten sind weiterhin auch Abstraktionsfähigkeit, Mustererkennung und ein unmittelbares Feedback wichtig. Jeglicher Wahrnehmungsprozess ist immer auch eine Art Vergleich („Kenne ich das oder etwas ähnliches bereits, oder ist mir das unbekannt?“, weshalb Abstraktionsfähigkeit so wichtig für das Lernen ist, da unser zentrales Denkorgan unbewusst und automatisch aus bestimmten Abläufen Folgen und Regeln ableitet und sie sich merkt. Statt das Gehirn jedoch mit vorgegebenen Regeln zu konfrontieren, ist es effektiver, ihm die Möglichkeit zu geben, diese selbst zu entdecken, insbesondere beim Einstieg in ein Thema. Darüber hinaus erzeugt etwas Neues zu wagen, zu erleben und zu lernen zwar zunächst Unruhe, vielleicht auch Angst und Irritation. Doch eröffnet eine Sache anderes als machen als „sonst“, jedem Mensch einen anderen Weg als bisher, der durchaus positive Auswirkungen mit sich bringen kann. Egal ob sie mit einem Mal freundlicher zu anderen sind, bewusst lächeln oder loben, neue Kochrezepte oder Sportarten ausprobieren, und so weiter.
Ebenso wichtig ist die Mustererkennung: Ganz automatisch, sozusagen selbstverständlich, versucht das Gehirn beim Lernen von Stoffen oder dem Verarbeiten von Informationen ein zugrunde liegendes Schema zu erkennen. Wenn ein solches Muster identifiziert wird, verringert sich die Unsicherheit, und die nächsten Schritte können besser vorhergesehen werden. Dagegen bewirkt ein unmittelbares Feedback die Abspeicherung von Lerninhalten, denn bei der Lösung von Aufgaben ist unser „Oberstübchen“ darauf angewiesen, umgehend zu erfahren (…)«