Vorbemerkung zu dem nachfolgenden Text aus den frühen 2020ern: „Der sog. Urknall ist ja bekanntlich der Anfang von allem. Der Zeit, des Universums, des Lebens: im Urknall ist alles enthalten. Zwar zweifeln immer mehr Wissenschaftler an dieser traditionellen Sicht und fragen sich, wie sich unser Kosmos aus dem Nichts bilden konnte – aber das ist ein anderes Thema, das ich in meinem WISSEN.live-Vortrag »Was Sie unbedingt über DAS UNIVERSUM wissen sollten« behandelt habe.
Ich frage mich allerdings oft: Gibt es so eine Art Urknall auch für den Geist eines Menschen? In der embryonalen Entwicklung im Mutterleib entwickelt sich das Gehirn in einem rasantem Tempo. Etwa ab der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche zeigen sich im EEG erste Muster, die einem Schlaf-Wach-Rhythmus ähneln, was ein möglicher Vorläufer bewusster Zustände sein könnte. Nach der Geburt wächst und reift unser zentrales Denkorgan weiter, besonders die Großhirnrinde (Kortex). Es gibt Neurowissenschaftler, die von einer Art „Quantensprung“ sprechen, wenn Netzwerke im Gehirn (z. B. der präfrontale Kortex, Thalamus, Default Mode Network) miteinander integriert genug sind, um für den jeweiligen Menschen ein inneres Modell der Welt zu erzeugen. Die Entwicklung unseres Geistes scheint also ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess zu sein: von primitiver Reizverarbeitung bis hin zu komplexem Selbstbewusstsein.
Doch entsteht das Universum in unserem Kopf nicht schon mit der Zeugung, also dem Moment, wenn Eizelle und Spermium verschmelzen und das mütterliche Erbgut (23 Chromosomen) mit dem väterlichen (23 Chromosomen) eine Zygote mit 46 Chromosomen entstehen lassen? Ist dies vielleicht der „Urknall“ für jedes Gehirn: das individuelle genetische Programm eines neuen Menschen?
„Alle menschlichen Wesen werden mit unterschiedlichen Genen, Temperamenten und Fähigkeiten geboren. Aber allen gemeinsam ist, dass sie ein zentrales Denkorgan in ihren Kopf haben, ein neuronales Universum mit all seinen phantastischen Möglichkeiten, mit Gedanken, Träumen, Visionen, Wünschen und Fragen, die uns ab und an quälen: „Werde ich in der Schule / dem Beruf / im Leben Erfolg haben oder werde ich scheitern?“ /// „Komme ich bei meinen Mitmenschen gut an oder denken sie schlecht über mich?“ /// „Wenn ich das jetzt mache, werde ich mich hinterher gut oder schlecht fühlen?“
Solche Selbstzweifel sind ganz natürlich und zeigen die Fähigkeit auf, uns permanent selbst zu hinterfragen. Diejenigen Menschen, die an ein statisches Selbstbild (SSB) glauben, haben das Gefühl, dass viele unserer persönlichen Eigenschaften sozusagen „in Stein gemeißelt“ seien. Deshalb verspüren sie auch immer wieder ein Drängen, sich irgendwie beweisen zu müssen. Andere dagegen sind überzeugt davon, dass wir Menschen nicht alle unsere Eigenschaften von Geburt an mitbekommen haben, da wir doch seit unserer Kindheit stetig etwas dazulernen. Wer ein solches dynamisches Selbstbild bevorzugt (DSB), dem hat die Lebenserfahrung gelehrt, dass man Grundeigenschaften durch eigene Übung, Anstrengungen, Training stetig weiterentwickeln kann. Dies ist so bis ins hohe Lebensalter hinein.
Auch wenn wir in vielerlei Hinsicht, was persönliche Talente, Interessen oder Temperamente betrifft, sehr unterschiedlich sind – sprichwörtlich: individuell –, so kann sich jeder von uns seinen Geist als Denk- und Handlungsorgan ein Leben lang verändern und weiterentwickeln, ganz so wie ein Leistungssportler. Unser neuroplastisches, weil dynamisches, Gehirn hilft dabei (insbesondere in unsicheren Zeiten des Wandels) für Notfall- oder Krisensituationen neue Lösungswege zu finden, auf die Menschen mit einem statischen Selbstbild niemals kommen werden. Es gibt ja den Sinnspruch „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmer mehr.“, doch den kann man getrost auf dem mentalen Wertstoffhof entsorgen, denn unser Gehirn – und zwar jedes – ist dazu geboren worden, sich bis zu unserem Tode stetig zu verändern. Ja es wartet richtig darauf, dass seine Leistungsfähigkeiten optimiert werden, ganz so wie ein Ferrari, der von seinem Besitzer eher selten und dann nur stets im ersten und zweiten Gang gefahren wird, um Lebensmittel einzukaufen. Der wartet doch nur darauf, dass sein Benutzer ihn endlich einmal „ausfährt“ und an seine Grenzen bringt, damit er zeigen kann, was er „von Natur aus“ zu leisten in der Lage ist. Aber Vorsicht: Wer nicht ständig übt, wie man mit einem solchen Sportwagen umgeht, der landet schnell in der Leitplanke und verliert die Lust am beschleunigten Fahrgefühl.
Runtergebrochen auf unseren Geist bedeutet das: wir müssen lernen und üben, die Abläufe im Gehirn zu optimieren. Anfangs gibt es die Aufgabe, die Wahrnehmung der vorhandenen Reize zu verbessern, dann folgt das Training, Umsetzung und Verarbeitung bzw. Interpretation von Informationen und Reizen in den einzelnen Arealen des Oberstübchens zu optimieren und schließlich geht es darum, unser inneres Navi so zu programmieren, dass durch die richtige Weiterleitung der Nervenimpulse das von uns gesetzte Ziel möglichst ohne Umwege zu erreichen. (…)“